Ganztagsschulkongress 2013 - Wortwechsel 1: Lebensort Schule – wie Raumgestaltung Pädagogik unterstützt.

Wortwechsel 1: Lebensort Schule – wie Raumgestaltung Pädagogik unterstützt.
© Foto: Piero Chiussi / Deutsche Kinder- und Jugendstiftung

 

Wortwechsel 1

Lebensort Schule – wie Raumgestaltung Pädagogik unterstützt.

Diskussion beim 10. Ganztagsschulkongress

Freitag, 06.12.2013, 13:30–14:30 Uhr, Raum B 05

Expertinnen und Experten:


Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft; Katharina Sütterlin, Architektin bei Bauereignis Sütterlin Wagner, Architektur und Prozessdesign

Moderation: Volker Wieprecht, Radioeins rbb, Berlin

Zentrale Themen und Ergebnisse

Input: Wie können alte und neue Schulgebäude für die Gegenwart und Zukunft fit gemacht werden?

Referent Dr. Karl-Heinz Imhäuser

Der Um- und Weiterbau von Schule ist ein entscheidendes Thema für die (nahe) Zukunft der Bildungslandschaft.

Die Mittel des Investitionsprogramms Zukunft Bildung und Betreuung (IZBB) wurden oftmals additiv gedacht. Dies wird z.B. am Statement eines Schulleiters sichtbar: “Die Ganztagsschule findet im Anbau statt”.

Hinsichtlich der Begriffe “Klassenraum” und “Flur” lohnt sich der Blick über den Tellerrand, z.B. in die Niederlande: Dort spricht man heutzutage nicht mehr in diesen klassischen Begriffen, wenn man über Schulbauarchitektur spricht. Wünschenswert ist eine Entwicklung weg von klassischen Begriffen wie Flur, Klassenraum, Fächer usw. hin zu Lernlandschaften, Ruheinseln usw.

“Wie muss Schule vorausgedacht werden, so dass Räume entstehen, die für die Zukunft des Landes ausgestattet sind? Wir (Pädagogen) brauchen (selbst) Klarheit darüber, wie Räume künftig aussehen sollen, um den Planern und Architekten entsprechend Aufträge erteilen zu können (also in einer Sprache, die die Architekten und Planer verstehen).”

Aufforderung ans Publikum: “Machen Sie sich sachkundig. Was wollen Sie für Ihre Schule etc. künftig erreichen?” (Forderung nach Übersetzung in klare und prägnante Vorgaben)

  • Beispiel Landsberger Schule, heute Pilgerstätte für best practice: transparente Schule
  • Beispiel: Augsburg, Umbaukonzept: Transparenz, Cluster.
    Kollegium war gegen die Pläne der Schulleiterin, die den Umbau im Alleingang mit Architekten vollzog. Die Befürchtungen des Kollegiums wurden nicht bestätigt. Im Nachhinein sind alle glücklich.

Input: Gemeinsam umbauen – wie Kinder, Lehrkräfte, Eltern, Verwaltung und Architekten zusammen neue Lernräume gestalten

Referentin Fr. Sütterlin

beschäftigt sich mit baulichen Nachbesserungen in Klassenräumen/Schulgebäuden (Bauen und Planen im Bestand)

Beispiel Schule in Berlin-Lichtenberg
  • Partizipativer Prozess mit den Schülern als Vorrausetzung für die Planung
  • Kernstück ihrer Arbeit: das gemeinsame Bauen (Arbeit mit den Kindern/ Schülern)
    • für die Kinder/Schüler in Form praktischer Tätigkeiten, ausprobieren, testen, z.B. leimen, hämmern, nähen (geschlechtsneutral, auch die Klassen-Machos haben begeistert genäht)
    • Lesepodest für acht Kinder; dabei ist ein häufig auftretendes Thema der Kreis (Sitzmöblel, Tische, Podeste, Teppiche)
    • Selbstbau
    • Klassenraum als Baustelle

Prozess: reflektieren, was wir wollen; Modelle und Tests erarbeiten
Früher hieß es: Schüler sollen nicht aus dem Fenster gucken; heute: Konzentration ist besser, wenn sie doch auch mal aus dem Fenster gucken können. Neue pädagogische Erkenntnisse erfordern auch ein schulbauphysisches Umdenken (stärkere Betonung der Fenster, atmosphärische Räume für kleinere Gruppen usw.)

Beispiel Flure

Flure besitzen heute oftmals keine oder eine geringe Aufenthaltsqualität. Bei Wünschen/Notwendigkeit etwas zu ändern werden oft der Lärmschutz und Brandschutz als Hürden vorgeschoben (aus Bequemlichkeit oder Unkenntnis). Dabei gibt es gute Beispiele dafür, dass in der Zusammenarbeit mit Brandschutzbeauftragten verschiedene Möglichkeiten probiert werden können, die funktionieren.

Beispiel Umgestaltung eines Schulgeländes

Der Eingang soll wie ein Bus aussehen. Das Vorhaben wurde gemeinsam mit den Schülern umgesetzt (positive Auswirkungen auf den Umgang und Verantwortlichkeitsgefühl). Der Schulleiter begrüßt allmorgendlich jeden Schüler an neuem Tor, welches mit Namen versehen ist.

Erfolge: Weniger Unfälle durch gefährliche Umgebung! Bewusster Umgang und entspannte Atmosphäre, weniger Krankheitsfälle, weniger Aggression, bessere Schulergebnisse

Publikumsfragen

  • Wie kann man praktisch mit Altbestandstransformation umgehen?
    Packt die Verwaltung, Baugruppe usw. und fahrt nach Herford (best practice sightseeing). Nicht mit Skepsis begegnen, sondern mutig und aufgeschlossen sein!
  • Von wem soll/kann Initiative ausgehen?
    Initiatoren sind ganz unterschiedlich: z.B. Eltern. Aber der eigentliche Initiator ist die Haltung – das Wissen, was man will und wo man es herbekommt. Visionen und Stimmung sind entscheidend. Schulleiter allein ist ungünstig, es braucht das Team!
  • Wo ist Geld und wo gibt es keines?
    Der Tätigkeitsbereich von Architekten wie Frau Sütterlin entspricht keiner der neun Leistungsphasen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Vorschlag:
    • Erfindung der Leistungsphase Null: eine Skizze dessen, was beauftragt werden soll (Vorplanungsgespräche mit den Pädagogen)
    • Bestandsaufnahme der Willensbekundungen, Visionen, eines Grundkonzeptes
    • Wird bereits von Kommunen praktiziert, wenn sie Teile aus den Phasen 1–4 nehmen und Architekten und Planer mit der Phase Null beauftragen
  • Wo bleiben die Lehrer? Welche Möglichkeiten des weiteren Aufbruchs gibt es? Wird (neben der räumlichen Entwicklung für Schüler auch) der “Arbeitsplatz” für den Lehrer bei diesen Planungen bedacht?
    (Frau Sütterlin:) Lehrerzimmer sind Refugien. (Herr Imhäuser:) Datenbank “Lernräume aktuell
  • Gibt es Projektbeispiele, bei denen das Schulamt umgangen wurde, um schneller zum Ziel zu kommen?
    (Frau Sütterlin:) Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Brandschutz (Flure) geht nicht ohne politische Abstimmung. Das Schulamt ist Hausherr in der Schule und Gutachter; Brandschutzkonzepte sind unabdingbar.
  • Gibt es eine Brandschutzübersicht über Brandschutz-Flure?
    Jede Schule ist anders, und es gibt keine generelle Übersicht dafür. Beratung mit Fachmann ist notwendig.
  • Was tun, wenn sich Kommunen auf Richtlinien ausruhen, um keinen Aufwand betreiben zu müssen?
    (Dr. Imhäuser:) Musterflächenprogramm “Leitlinien für zukunftsfähige Schulbauten in Deutschland”
  • 12 Thesen zum Bau einer zukunftsfähigen Schule und Schulträger suchen!

Abschlussresümee

  • Haltung ist alles! Sie ist der wichtigste Initiator.
  • Viele Potentiale sind in den Schulen vorhanden – man muss sie  ergreifen!
  • Nicht an dem, was nicht geht, orientieren, sondern an Visionen und Referenzbeispielen
  • Besser als Einzelkämpfertum ist ein Team! Partizipation mit den Schülern für die Schüler!
  • Selbstreflexion der Pädagogen, um in einen verständlichen Dialog mit Planern und Entwerfern zu treten. Dabei alte Muster und Denkweisen überwinden.

Statements und Zitate

  • Volker Wieprecht zum Bild und Verhältnis des Schülers zu einem gründerzeitlichen Schulgebäude: “Als ginge man in den Rachen eines Drachen”